Dezemberradeln am Kanal
Obwohl es schon wieder Dezember geworden ist und sich eine sibirische Kältezunge über Mitteleuropa gelegt hat, ist mir überhaupt nicht winterlich zumute. Meine innere Uhr ist noch vollständig auf Herbst eingestellt und ich weigere mich, mein Fahrrad über die Wintermonate einzumotten! Je länger ich das herbstliche Gefühl bewahren kann, desto kürzer ist die verbleibende Zeit zum nächsten Frühling! Noch immer hängt das letzte Laub beharrlich an den schon ziemlich kahlen Zweigen und Ästen – allerdings sehen diese Blätter schon ziemlich braun und verschrumpelt aus. Das Wetter ist grau. Dichter Hochnebel hat den späten Vormittag fest im Griff. ‚Trübe, aber trocken‘, hieß es im Wetterbericht – für’s Radfahren vollkommen in Ordnung! Steingraue Windräder drehen vor mausgrauem Himmel und einem verschwommenen staubgrauen Horizont (frei nach Loriot). Nur die strahlend gelbe Rapsblüte bildet einen unwirklichen Kontrast. Früher erblühte der Raps vornehmlich im Mai, heute gibt es die gelbe Blütenpracht sogar im Dezember, wenn ansonsten eigentlich gar nichts mehr blüht – verrückte, skurrile Welt!
Auf meiner Radtour treffe ich heute lauter Bekannte. Die Tina hechelt mir auf dem ehemaligen Bahndamm joggend entgegen und Herr Wirth, der schon vor fünfzehn Jahren sein Drogeriegeschäft aus Altersgründen aufgegeben hatte, spaziert noch immer rüstig und tapfer seine sonntägliche Runde. Der Erwin führt seinen Jimmy Gassi. Der ist inzwischen über 17 Jahre alt und lange nicht mehr so lebhaft wie früher. Damals hat er mich jedes Mal aufgeregt und feindselig angekläfft, ehe er merkte: ‚Halt, Moment, den Zweibeiner kenn‘ ich doch?! Ach, Du bist’s! Alles klar, kein Problem – KRAUL MICH!‘ Kraulen lässt er sich auch heute noch sehr gerne – ich tue ihm den Gefallen. Schwanzwedelnd genießt er meine Liebkosungen! Nach einem kleinen Pläuschchen mit Erwin radle ich weiter zum Dortmund-Ems-Kanal. Ich überhole ein schwer beladenes Motorschiff, das sich gemächlich seinen Weg vom Ruhrpott zur Nordsee bahnt. Auch am Sonntag ist auf dem Kanal einiges los und ich kämpfe mich gegen den schneidenden Wind voran, der (gefühlt) prinzipiell immer von vorne zu kommen scheint! Die Temperatur mutet weit unter null Grad an (gefühlt wiederum), doch mein Thermometer lässt sich nicht belügen – es zeigt trotzig plus 3 Grad. Doch die Kälte beißt in meine Ohren, die Finger sind kalt und die Füße fühlen sich wie Eisklumpen an. Ich muss mir dringend Gedanken um funktionale Radfahrkleidung machen!! Doch ich lasse mich nicht unterkriegen. Ich trete halt noch etwas fester in die Pedale – dann wärmt es von innen! Der Winter bekommt mich heute nicht!
Plötzlich bricht doch noch die Sonne durch die graue Wolkendecke und lässt die Welt viel freundlicher und wärmer erscheinen. Der Wind bläst auf dem Rückweg tatsächlich stramm von hinten und treibt mich mit Höchstgeschwindigkeit nach Hause. Als ich vom Rad steige, ist die zwischenzeitliche Kälte vergessen. 23 km zeigt der Tageszähler. Es war eine richtig schöne Sonntagstour!
Rad Route Dortmund-Ems-Kanal