Raus in die Märzensonne

Raus in die Märzensonne

Der März ist eigentlich viel zu früh für eine Mehrtagesfahrradtour! Es ist noch zu kalt, die Bäume sind kahl und frei  nach Goethes Osterspaziergang aus dem ‚Faust‘ fehlen bis auf ein paar wenige Krokusse und verwelkte Schneeglöckchen auch die Blumen im Revier. Aber der alte Winter hat sich dieses Mal  in seiner Schwäche gar nicht gezeigt. Im letzten Jahr war es zu diesem Zeitpunkt flächendeckend weiß – heute werden bis zu 18° prognostiziert. Es hilft nichts: es geht nicht anders – ich muss einfach mit meinem Rad hinaus! Wie Tausende anderer geputzter Menschen bin ich heute neu ans Licht gebracht, nach der kalten Jahreszeit wiederauferstanden. Wo kommen alle diese vielen Leute her? Wo waren die in den letzten Monaten?  Aus niedriger Häuser dumpfer Gemächer, aus dem Druck von Giebeln und Dächern hat sie die Märzensonne alle nach draußen gelockt. Auf den Straßen herrscht ein buntes und freundliches Gewimmel!

Mein Ziel sind die Baumberge – mitten im platten Münsterland besitzen sie fast schon Mittelgebirgscharakter. Die Anstiege sind zum Teil ganz schön heftig. Vielleicht bin ich aber auch nur aus der Form! Der Tag beginnt frisch – sehr frisch! Ich brauche zunächst noch Handschuhe. Über Hemd, Pullover und Trainingsjacke trage ich noch eine dicke Lederjacke. Nach Art einer Zwiebel werde ich mich im Laufe des Tages entpellen. Noch bildet ein jedes Ausatmen eine kleine kondensierende Fahne. Auch die Felder dampfen und die Luft ist jauchegeschwängert. Kein Zweifel, ich bin auf dem Lande und die Bauern bereiten ihre Äcker für die Aussaat vor! Die Vögel zwitschern laut und kündigen damit jubilierend den Frühling an. Die tiefe Sonne strahlt und der Himmel zeigt sich in tiefem blau – der Tag ist einfach traumhaft!

Der 175 km lange Sandsteinweg verfolgt nicht den Zweck, möglichst zielstrebig von A nach B zu gelangen. Vielmehr werden weite Schleifen gezogen, um die verschiedenen Wegkreuze, Bildstöcke und Sandsteinhäuser abzuhaken. Geographisch kommt man kaum weiter, aber darauf kommt es bei dieser Tour nicht an. Ich bin beeindruckt von den kunstfertigen Arbeiten. Der Baumberger Sandstein ist aufgrund seiner Konsistenz besonders gut als Ausgangsmaterial für Bildhauer geeignet. Er ist relativ weich und daher gut ausformbar – leider aber auch besonders witterungsanfällig. Im katholisch geprägten Münsterland wurden daher zahlreiche Bildstöcke mit Jesus-, Marien-, Madonnen- und Heiligenbildern in Auftrag gegeben. Einige Pietàs sind schon mehrere Jahrhunderte alt und sehr kunstvoll und filigran ausgeführt. Ich komme mir vor wie in einem sakralen Freiluftkunstmuseum. Daneben trifft man immer wieder auf die gelblichen in der Sonne leuchtenden Sandsteinbauwerke. Wer hier etwas auf sich hält, der nutzt das einheimische Material. So entstanden Häuser, Höfe, Villen, Schlösser, Klöster und sogar Windmühlen aus Baumberger Sandstein. Bis heute haben zwei Abbaugruben überlebt. Unterwegs stoße ich immer wieder auf stillgelegte und zugewucherte Steinbrüche. Und mit dem Besuch des Sandsteinmuseums in Havixbeck ist die Information über diesen besonderen Naturstein komplett. Reisen bildet!

Mittags kann man schon draußen sitzen – allerdings nur mit Jacke. Die ersten Gaststätten haben ihre Terrassen geöffnet und diese füllen sich schnell – schließlich ist Wochenende. Jeder sonnt sich heut so gern! Westfälische dicke Bohnen mit Kassler und Kartoffeln vor dem mächtigen Sandsteinkirchturm mitten in Nottuln. Ein perfektes Ambiente! Neben mir sitzen zwei ältere Herrschaften in Lederkluft, die die ersten schönen Tage zu einem Ausflug mit ihren schweren Maschinen genutzt haben. Auch sie sind aus dem Winterschlaf erwacht und bereit für neue Abenteuer.

Später am Tage sehe ich sogar schon Jungs und Mädchen in T-Shirts und mit kurzer Hose – mutig! Tatsächlich ist es aber schon recht warm geworden. Vor einer Eisdiele hat sich bereits eine lange Schlange gebildet. Na, dann fahre ich doch weiter, weiter durch diese wunderschöne Landschaft, alleine mit meinem treuen Drahtesel. Und da erinnere ich mich noch einmal an Johann Wolfgang von Goethes Osterspaziergang: Hier bin ich Mensch! Hier darf ich‘s sein!

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