Im Nebel durch die Flussaue: Bald ist Weihnacht!
‚Nebel hängt wie Rauch ums Haus, drängt die Welt nach Innen. Ohne Not geht niemand aus, alles fällt in Sinnen‘, schrieb einst Christian Morgenstern über einen nebelgeschwängerten Novembertag. An dieses Gedicht fühle ich mich erinnert, denn heute ist ein solcher Nebeltag – obwohl es bereits Dezember ist. Und ich möchte Christian Morgenstern wiedersprechen, denn ich will heute hinaus, ohne Not. Ich möchte diese besondere Stimmung erleben – auch wenn es kalt ist. Das Thermometer zeigt gerade mal 3 Grad an. Aber gemäß dem Motto ‚es gibt kein falsches Wetter, nur falsche Kleidung‘, ziehe ich mir ein warmes Hemd an, darüber einen Pullover, darüber eine Jacke und darüber noch eine Jacke! Die Wollmütze tief über die Stirn bis über die Augenbrauen gezogen, Handschuhe an und los geht’s!
Es ist Sonntag früh – die Straßen sind verwaist. Auf den Wirtschaftswegen führen vereinzelnd Hundebesitzer ihre Vierbeiner Gassi. Die Gesichter sind verknittert – im Gegensatz zu den mich freundlich anwedelnden Hundis scheint es den Herrchen und Frauchen sehr viel weniger Spaß zu machen. Ich schmunzele in mich hinein, denn ich genieße diese dumpfe, stille Stimmung. Kaum ein Laut dringt durch die zähe Nebelwand hindurch, die Luft trägt keinen Ton sehr weit. Die Landschaft verschwindet nach wenigen Metern. Ich radle durch die graue Auenlandschaft und klitzekleine Wasserperlen wachsen auf meinen Handschuhen. Das passt zur Adventszeit, denke ich, aber für den Weihnachtsbaum sind diese Kügelchen viel zu klein! Auf einer kleinen Holzbrücke mache ich Rast und beobachte, wie das kleine Flüsschen, das man an dieser Stelle wieder renaturiert hat, sich bereits in kurzer Entfernung mit dem unscharfen Grau des Himmels vereinigt. Hat es hier jemals einen Horizont gegeben? Ich kann es mir kaum vorstellen! Mein warmer Atemhauch kondensiert sofort und wird als kleines Wölkchen sichtbar. Weiter geht es über den kleinen asphaltierten Weg. Vor mir taucht unvermittelt aus dem Nebel ein Hundeführer auf. Seine Kapuze hat er tief und fest in sein Gesicht gezogen – er hört mein Klingeln nicht. Auch ein zweites Klingeln ignoriert er gänzlich. Na gut, die Straße ist breit genug und meinen Schwung wollte ich nicht verlieren. So fahre ich relativ dicht an ihm vorbei und reiße ihn erschrocken aus seiner tiefen, in sich gekehrten Nachdenklichkeit! Hoppla!
Die feuchte Kälte kribbelt auf meinem Gesicht, leise schnurrt die etwas zu wenig geölte Kette über die Ritzel. Doch da plötzlich, links neben mir auf dem grau-grünen Feld: eine Gestalt! Was ist das, ein unheimlicher Geist? Ein Gespensterpferd?? Ich komme näher und sehe: es ist ein Reh! Es ist über mich genauso erschrocken wie ich und schaut mich mit großen schwarzen Augen an. Es hält mich wohl für einen rücksichtlosen Damwildmörder und ergreift panisch die Flucht. Schon nach zwei Sekunden ist es im dicken Nebelgrau entschwunden! (Ja, ich weiß: Rehe gehören eigentlich nicht zum Damwild)
Nichts erinnert hier draußen an die vorweihnachtliche Zeit. Und da bin ich doch wieder bei Christian Morgenstern: ‚Alles fällt in Sinnen!‘ Die Radtour lässt mich eine wundervolle Stimmung erleben und ich hänge meinen Gedanken nach – tatsächlich besinnlich. Und ist das nicht der tiefere Sinn des Weihnachtsfestes, der in der Kaufhektik der heutigen Zeit so schnell verloren geht? Ich fühle mich einer wirklichen Besinnlichkeit sehr nah – im unendlich erscheinenden Nebelgrau auf dem Sattel meines Rades. Wie von Engeln getragen erreiche ich nach 23 Kilometern wieder mein Zuhause. Es war richtig schön!!
In diesem Sinne: ich wünsche allen, die dieses lesen, ein frohes und besinnliches Fest!