Sausefahrt durchs Teufelsmoor
Solche geraden Straßen gibt es sonst nur in Amerika, habe ich gedacht. Schnurgerade, wie mit dem Lineal gezogen, geradewegs durch die Landschaft bis zu den blauen Bergen. Aber ich habe falsch gedacht. Solche Linealstraßen kann man auch in Deutschland antreffen, genauer in Norddeutschland, noch genauer im Moor, im Teufelsmoor nahe Bremen. Dort geht der Blick auch nicht hin zu den blauen Bergen, dort verliert er sich in der schier unendlichen Weite des Moores. Ein Berg überragt dann aber doch mit etwa 20 Höhenmetern die grüne Brache, der Weyerberg, der Künstler-Olymp des Nordens, auf dem das Malerdorf Worpswede thront. Ansonsten durchschneidet nur die Hamme die flache Ebene, ein stiller Moorfluss, der all die Wasser der Umgebung über unzählige Gräben aufnimmt und seine dunkle Flut zur Weser hin wälzt. Auf ihm glitten vor zig Jahren einmal die Torfkähne mit ihren braunen Segeln stromabwärts und brachten das Brennmaterial in die Stadt. Die Worpsweder Maler haben die stillen Kähne immer wieder gemalt. Wenn man sich so umsieht, nischt als Landschaft, weites Land, so weit das Auge reicht. Und das von dem Aussichtsturm, auf dem ich stehe. Den haben die Leute hier vor Jahren mitten in die Landschaft gestellt, damit man seine einsame Schönheit auch richtig würdigen kann. Von diesem hölzernen Schau-ins-Land kann man das Teufelsmoor gut überblicken. Jetzt will ich das Moor aber auch einmal von unten sehen, will es unmittelbar erleben und durchfahren. Und das ist gar nicht so schwer, wie ich merke. Denn direkt vom Aussichtsturm aus führt ein Betonplatten-Weg schnurgerade durch das satte Grün. Also in den Sattel geschwungen und in die Pedalen getreten! Es gilt, das Moor und seine Geheimnisse zu erkunden! Der Wind bläst mir in den Rücken und schiebt mich durchs Gelände. Wie ein Sausewind flitze ich über die Betonplatten. Ich fühle mich wie Jan Ulrich auf einer Gefällstrecke in den Alpen. Das Rad scheint alleine zu rollen, ich brauch‘ mich gar nicht anzustrengen und viel zu treten. Alles geht beschwingt und leicht. Im Übrigen scheine ich hier alleine unterwegs zu sein. Kein Mensch begegnet mir, alles ist wie ausgestorben. Ich radle munter drauf los, vorbei an sumpfigen Feuchtwiesen, die dem Radler im Moor bei Nebel und Dämmerung bestimmt die kalten Schauer über den Rücken treiben würden. Da erkenne ich – nicht weit vor mir – eine ausgedehnte Wasserfläche, die sich zu einem riesigen See weitet. Ich sehe nur noch Wasser – das Breite Wasser mit schilfgesäumten Ufern. Die finstere Flut kräuselt sich unter einer leichten Brise. Hunderte von Wasservögeln sind hier zu Hause. Ihre Laute und Schreie erfüllen die Luft. Über mir schwirrt und flattert es. Mein Weg führt mich weiter, hin zu einer hölzernen Brücke, die sich über die kleinen Verbindungen der Seenplatte wölbt. Vor mir zeichnet sich Worpswede ab und davor, am Ufer der Hamme in Neuhelgoland, die Anlegestelle für Dutzende von Torfkähnen und Booten. Dahinter tut sich ein schmuckes Café auf. Die Terrasse lädt den glücklichen Moorradler zu einem Pott Kaffee und einem Stück Buchweizentorte ein. Eine süße Belohnung für eine tolle Fahrt durch die Stille einer naturgeschützten Landschaft.
1 Kommentar
Peter Otto
Tolle Geschichte. Dort im Teufelsmoor bin ich auch schon mal unterwegs gewesen. Die Moorlandschaft ist beeindruckend. Und mit dem Rad rollt man mühelos durch die Weite. Das macht Spaß, man genießt das Allein-Sein in der Abgeschiedenheit. Ein Tip für gestresste Großstädter!